14.01.2021 Tag der offenen Hochschultür – Corona, digitale Lehre, Studium
Jedes Jahr im Januar öffnen die sächsischen Hochschulen ihre Türen für alle Studieninteressierten. Das wird 2021 leider nicht in bisher gewohnter Form möglich sein. Die Hörsäle bleiben zu und auch die Mensen und Cafeterien bleiben geschlossen. Doch viele Hochschulen sind trotzdem für die Studieninteressierten da, vermitteln Informationen über die Studiengänge und Bewerbungsverfahren. Ein Highlight an diesem Tag war es immer, dass Schüler*innen die Möglichkeit haben, an Lehrveranstaltungen teilnehmen zu können. Auch das läuft dieses Jahr anders – eben digital.
Digital läuft gerade der komplette Studienalltag und das wird wohl auch noch einige Zeit so bleiben. Ein Anlass, um auf das Corona-Jahr 2020 und die digitale Lehre an Hochschulen zurück zu blicken.
Mit den notwendigen Corona-Schutzmaßnahmen wurden sehr schnell im März 2020 die Hochschulen geschlossen. Keine Präsenzveranstaltungen fanden mehr statt. Innerhalb kurzer Zeit mussten Lehrende und Mitarbeiter*innen den Semesterplan umstellen und digital planen. Was bedeutete das für Studierende, Mitarbeiter*innen und Lehrende?
Die Digitalisierung ist eigentlich kein neues Thema in der Hochschullehre. Seit Jahren gibt es Bestrebungen diese auszubauen. Die Pandemie hat diesen Vorgang wesentlich beschleunigt und darin liegen viele Chancen. Denn durch digitale Anwendungen wie Messenger, gemeinsame digitale Arbeitsräume oder interaktive Plattformen entstehen Foren, über die sich Studierende und Lehrende parallel zur Lehrveranstaltung miteinander austauschen können. Kollaboratives Arbeiten, wenn z.B. Studierende sehen, wie ihre Mitstudierenden in Echtzeit etwas an einem Dokument bearbeiten, sorgen für neue Dynamiken im Seminar. Mithilfe von digitalen Tools können Inhalte spielerisch und spannend vermittelt werden. Es können neue Diskurs- und Erkenntnisräume entstehen, die es vorher so nicht gab.
Das alles setzt jedoch voraus, dass die Technik funktioniert, dass das Netz stabil bleibt und vor allem, dass alle Studierenden an den Lehrveranstaltungen und ‑inhalten teilhaben können. Und hier beginnen die Schwierigkeiten.
Die Umsetzung der Digitalisierung an den Hochschulen wurde die letzten Jahre verpennt. Deshalb hat die Coronavirus-Pandemie den gesamten Bildungsbereich im Frühjahr 2020 erstmal völlig überrumpelt. Es blieben dann nur wenige Wochen Zeit, um auf digitale Lehre umzustellen. Viele Probleme und Themen blieben dabei auf der Strecke z.B.: die Mitarbeiter*innen zu schulen, die Frage, welche Plattformen können rechtssicher und datenschutzkonform verwendet werden, woher kommt eigentlich das Geld für die nötigen Lizenzen, wie kommen die Hochschulen zu notwendigen Technik und zusätzlichen Rechenkapazitäten für die Server, und und und?
Zu diesen Fragen an den Hochschulen kommen natürlich auch die ganz alltäglichen Probleme, mit denen Studierende zu tun haben. Wenn eine Plattform aufgrund von Überlastung nicht verfügbar ist, wenn das Internet in der WG zusammenbricht oder man als Studi kein Geld für einen leistungsstarken Computer, ein Headset und eine Kamera hat, ist es so als stünde man vor einer verschlossenen Hochschultür und hätte keinen Schlüssel: Die Bildung ist zum Greifen nah und doch unerreichbar. Viele Studierende bleiben so auf der Strecke. Wie Studierende mit Beeinträchtigungen, z.B. Seh- oder Hörbehinderung gleichermaßen an den digitalen Angeboten teilhaben können, ist ein weiteres, noch zu klärendes Problem. Unter den Bedingungen mit geschlossenen Hochschulen und Bibliotheken eine Hausarbeit oder eine Promotion zu verfassen, ist mit hohen Hürden verbunden. Kostengünstiges Mittagessen gab es aufgrund der Einstellung des Betriebs der Mensen und Cafeterien lange nicht. Und auch aktuell gibt es nur an einigen Standorten Speisen und Getränke zum Mitnehmen. Auch die Beratungsangebote der Studierendenwerke fielen weg oder wurden in den digitalen Raum verlegt, was zusätzliche Barrieren schafft. Und wie geht’s es eigentlich den Studienanfänger*innen? Viele begannen ihr Studium im ersten Lockdown. Gerade für sie ist die Situation besonders schwierig, weswegen sie auch als die am meisten verwundbare, vulneralbe Gruppe an den Hochschulen in der gegenwärtigen Situation anzusehen sind. Denn letztlich lernt man die Hochschule so wirklich erst im persönlichen Kontakt auf dem Campus kennen, z.B. wenn man den Hörsaal nicht findet, beim StuRa das Ticket für die Erstiparty kauft, oder nach dem Seminar noch mit Kommiliton*innen ins Gespräch kommt. Und nun? Wie kann der wissenschaftliche Diskurs ohne direkte Begegnung mit den Regeln und Gegebenheiten des akademischen Betriebs für die Studierenden erfahrbar werden? Was ist mit Studierenden, die aus nicht-akademischen Haushalten kommen, keine akademische Sozialisation vorweisen und nicht auf das kulturelle Kapital, das Wissen und die Erfahrung bereits studierter Familienangehöriger zurückgreifen können – wie kann für sie eine sozialakademische Integration unter Bedingungen eines Online-Studiums gelingen? Wie kann man selbstbestimmt lernen, wenn man noch keine Erfahrung mit Selbstorganisation und wissenschaftlichem Arbeiten hat? Oder wenn man keinen souveränen Umgang mit digitalen Medien in der Schule oder im Elternhaus erlernt hat? Wie lernt man im Studium neue Menschen kennen, bildet Lerngruppen, schließt Freundschaften, wenn keine Einführungsveranstaltungen und Ersti-Kneipenabende mit echter Begegnung möglich sind? Und was bedeutet es für die Persönlichkeitsentwicklung junger Menschen, die wichtige Abnabelungs- und Selbstfindungsprozesse gegenwärtig nicht ausleben können, weil sie z.B. aufgrund von pandemiebedingten finanziellen Problemen zurück ins Elternhaus ziehen müssen? Droht uns eine „lost generation“ von Akademiker*innen, die nicht nur das Abitur unter Corona-Bedingungen ablegen musste, sondern auch gleich danach in ein digitales Semester an der Uni rutschte? Die Pandemie wirft viele Fragen auf.
Auch was die digitale Lehre angeht, sind viele Fragen ungelöst, was auch bereits erste Studien zeigen. Die größte, im Pandemie-Sommer 2020 vom Zentrum für Hochschul- und Wissenschaftsforschung (DZHW) durchgeführte Umfrage mit 28.000 teilnehmenden Studierenden, zeigte u.a. eine gespaltene Studierendenschaft: 40 Prozent waren zufrieden mit dem Online-Semester, 30 Prozent unzufrieden. Eine weitere Studie aus Würzburg legte bereits im April 2020 Erkenntnisse vor, bei denen 83 Prozent der Studierenden einen Mangel an sozialem Austausch beklagen, 57 Prozent von psychischen und emotionalen Belastungen im Homeoffice berichteten.
Selbst der Wissenschaftsminister Gemkow hat diesen Umstand bemerkt (https://www.mdr.de/sachsen/corona-gemkow-vereinsamung-studenten-befuerchtet-100.html ). Er und sein Ministerium sollten aber auch endlich handeln. Denn die Corona-Pandemie trifft am Ende nicht allein die Studierenden, sondern die ganze studentische Kultur, die von Einschnitten betroffen ist. Auch das studentische Engagement, die studentischen Clubs, Vereine und Initiativen leiden unter dem Online- bzw. Hybrid-Semester.
Und wer soll das alles bezahlen? Den sächsischen Hochschulen sind im Frühjahr 2020 durch die plötzliche Umstellung von der Präsenz- auf eine digitalisierte Lehre Kosten in Höhe von etwa 7,5 bis 8 Millionen Euro entstanden. Der Freistaat Sachsen hat zunächst nur mit 3,6 Millionen Euro aus dem Corona-Bewältigungsfonds unterstützt und erst Monate später weitere Gelder nachgereicht. Die Studierenden wurden mit Krediten und unzureichenden Hilfen abgespeist, die keineswegs den Lebensunterhalt sichern. Das kann nicht die Lösung sein! Unsere LINKE Landtagsfraktion hat bereits im Frühjahr per Antrag (http://edas.landtag.sachsen.de/viewer.aspx?dok_nr=2149&dok_art=Drs&leg_per=7&pos_dok=0&dok_id=undefined) u.a. ein Sozialfonds für alle Studierende in finanzieller Not sowie schnelle und unbürokratische Hilfen in Form von rückzahlungsfreien staatlichen Zuschüssen gefordert.
Studierende und deren politische, kulturelle und soziale Räume dürfen keinesfalls der Pandemie zum Opfer fallen. Dafür muss die Bundes- und die sächsische Staatsregierung umgehend sorgen. Es müssen entsprechende finanzielle Unterstützungsangebote für alle Mitgliedergruppen an den Hochschulen und für Orte des studentischen Lebens und der studentischen Kultur zur Verfügung gestellt werden, die bisher leider durch alle Netze fallen.
Wenn es darum geht, wie Studieren nach der Pandemie aussehen kann, müssen wir uns der Frage widmen, wie Studieren aussehen sollte. Die Potentiale und Chancen der digitalen Lehre müssten selbstverständlich genutzt werden, ohne dass dabei die Idee einer teilhabeorientierten demokratischen Präsenzuniversität aufgegeben wird. Die sozialen Folgen der Corona-Pandemie müssen nicht nur vollumfänglich abgefedert werden, sondern die Studienfinanzierung muss komplett reformiert werden. Das BAföG muss den Lebensunterhalt von deutlich mehr Studierenden sichern und wieder ein Garant für Bildungsgerechtigkeit werden. Studienabbrüche müssen vermindert werden u.a. durch Ausbau von psychosozialen Beratungsangeboten und der Abkehr von der 3‑Versuche-Regelung bei Prüfungsversuchen. Die Qualität der Lehre muss erhöht werden und zugleich mehr und dauerhafte Stellen an Hochschulen geschaffen werden, die nicht nur ein gutes Betreuungsverhältnis der Studierenden, sondern auch selbstständige wissenschaftliche bzw. künstlerische Arbeit und (Weiter-)Qualifikation ermöglichen. Der Befristungswahnsinn im akademischen Betrieb muss überwunden werden.
Die Corona-Pandemie hat viele Baustellen offenbart und viele Probleme verschärft. Jetzt gilt es, daraus Lehren zu ziehen und diese Baustellen anzugehen.