Hochschulen in Zeiten von Corona
Bundesebene: Frau Karliczek kriegt nix gebacken
Mit dem Ausbruch der Corona-Pandemie in Deutschland und den ab Mitte März getroffenen Eindämmungsmaßnahmen sind mit der Schließung von Restaurants, Hotels, Bars und etlichen anderen Bereichen des öffentlichen Lebens für viele Studierenden die Jobs weggebrochen. Laut einer repräsentativen Umfrage haben rund 40 Prozent der deutschen Studierenden durch die Corona-Krise ihren Job verloren. Der Personaldienstleister Zenjob hatte bundesweit 1837 Studierende bundesweit befragt. 22 Prozent der Befragten konnten nach dem Jobverlust ihre Miete und ihre Rechnungen nicht mehr zahlen und mussten sich Geld bei ihrer Familie oder bei Freunden leihen. Ein Drittel der Befragten macht sich sehr große Sorgen über die eigene finanzielle Situation. (http://gleft.de/3R3).
Studierende arbeiten vor allem in Bereichen, die auf Grund der Corona-Pandemie als erstes von der Schließung betroffen waren (Cafés, Restaurants, Bibliotheken, kulturelle Einrichtungen, etc.). Während nun auf Bundesebene schnell üppige Hilfspakete geschnürt wurden, um Lufthansa und Co. zu helfen, ist bei den Studierenden das Gegenteil der Fall.
Der Bund stellt lediglich Kredite und viel zu wenige finanzielle Mittel für Soforthilfen zur Verfügung. Konkret sieht das so aus: Für bedürftige Studierende stellt die Bundesregierung gerade mal 100 Millionen Euro für Nothilfefonds bereit. Die Auszahlung soll über die Studierendenwerke laufen. Bis jetzt gibt es noch immer keine Möglichkeiten diese zu beantragen. Problematisch ist außerdem, dass die Hilfen auf eine Höhe von maximal 500 Euro pro Person und pro Monat gedeckelt und maximal für drei Monate ausgezahlt werden. Zur Verdeutlichung: in Deutschland gibt es 2,89 Millionen Studierende, davon sind 750.000 Studierende auf Nebenjobs angewiesen und die ohne Job in eine finanzielle Notlage geraten. Das heißt pro Studi stellt der Bund also gerade mal ca. 133,33 Euro zur Verfügung. Hinzu kommt, dass für die Beantragung ein Nachweis der Bedürftigkeit in Form von Kontoauszügen notwendig ist. Das heißt, wer mehr als 500 Euro auf dem Konto hat, bekommt nix, wer 400 Euro auf dem Konto hat bekommt 100 Euro usw.
Aber es gibt noch ein weiteres „Hilfsangebot“: Studierende können einen Kredit bei der Kreditanstalt für Wiederaufbau (KfW) beantragen. Die Bedingungen für dieses „zinslose Darlehen“ sind unglaublich. Beantragt werden können lediglich 650 Euro/Monat, im Zeitraum von Mai 2020 bis März 2021. Nur in dieser Auszahlungsphase ist der Kredit zinsfrei. Ausländische Studierende (mit Wohnsitz in Deutschland) können den Kredit zudem erst ab Juli 2020 beantragen. Außerdem gelten die üblichen Bedingungen des KfW-Kredits. Das heißt zum Einen, dass nach im zweiten Auszahlungsjahr bereits Zinsen in Höhe von 4,27 Prozent anfallen. Zum Vergleich: für viele Wirtschaftsbereiche gab es hingegen rückzahlungsfreie Zuschüsse, für Studierende jedoch zurückzuzahlende und mit überhöhten Zinsen belegte Kredite – verdeutlicht gut die Prioritätensetzung, oder? Das heißt aber auch weiterhin, dass alle Studierenden ab dem 11. Fachsemester keinen Kredit erhalten. Ausgeschlossen ist auch, wer an einer Berufsakademie studiert oder über 45 Jahre alt ist. Auch wer einen Studiengang im Ausland studiert, ist auch raus.
Die Lösung des BMBF für die wirklich prekäre Situation der Studierenden ist also Kreditaufnahme. Man soll sich also aufgrund von nicht selbst verschuldeter Umstände mit Krediten verschulden, um das Studium fortzusetzen zu können? Genau. Die „Alternative“ wäre für Viele das Studium mangels anderer Finanzierungsalternativen gänzlich aufzugeben. Denn nur wenige Studierende können sich ihr Studium durch BAföG finanzieren und alle Vorschläge, das BAföG in der aktuellen Krise zu öffnen, sind an der Bundesbildungsministerin abgeprallt. Unfassbar!
Die Folgen: Es sind nun bereits 3 Monate vergangen und noch immer ist keine Nothilfe an Studierende ausgezahlt worden. 3 Monate! Das ist 3 mal Miete, 3 mal Stromkosten, 3 mal Handy- und Internetrechnung, Lebenshaltungskosten wie Ernährung usw. Von einer Soforthilfe kann also beim besten Willen nicht mehr die Rede sein. Für viele Studierenden wird also die finanzielle Belastung von Tag zu Tag schlimmer und zieht existentielle Probleme nach sich. Und wer kann schon mit vollem Elan sein Studium weiterführen, wenn nicht sicher ist, wie man die kommenden Monate überleben, Miete uns Essen bezahlen soll?
Mit dieser Ignoranz der finanziellen Probleme der Studierenden geht auch ein folgenschweres Signal an alle, die in Zukunft ein Studium aufnehmen wollen. Sie wissen nun, in schwierigen Zeiten, werden sie allein gelassen. Die Bildungsungerechtigkeit nimmt damit weiter zu. Studierende aus Arbeiter*innenfamilien werden es folglich noch schwerer haben, sich für ein Studium zu entscheiden und dieses zu finanzieren.
Mit Recht fordern Studierendenvertretungen, ‑initiativen und auch wir den Rücktritt der Bundesbildungsministerin Karliczek. Für Studierende in Not hat sie jedenfalls nichts getan und ihre pure Unkenntnis von studentischen Lebenslagen sowie des Problemausmaßes bewiesen.
Landesebene: Auch in Sachsen – Wenig Hoffnung auf ausreichende Unterstützung für Studierende und Mitarbeiter*innen.
Auch die sächsischen Studierenden sind von den Entwicklungen auf Bundesebene betroffen und leiden unter den Folgen der Corona-Pandemie. In Sachsen haben viele Studierenden ebenfalls ihren Nebenjob verloren, müssen ihr Studium von zu Hause aus organisieren und einige müssen nebenbei ihre Kinder betreuen oder Angehörige pflegen.
Welche Auswirkungen die Einschränkungen auf die Studierenden, die wissenschaftlichen und künstlerischen Mitarbeiter*innen sowie auf die Hochschulen hat, und welche Unterstützung die Staatsregierung bereitstellt, habe ich regelmäßig im Ausschuss für Wissenschaft, Hochschulen, Medien, Kultur und Tourismus nachgefragt. Informationen erhielt ich kaum und wenn doch, dann zeugten sie ebenfalls von schlichter Unkenntnis der Problemlagen der Betroffenen.
Die Entscheidungen, wie die Hochschulen mit der Situation umgehen, wurden auf unterschiedlichen Wegen getroffen. An den Hochschulen wurden Krisenstäbe eingesetzt und es gab einen regelmäßigen Austausch mit dem Staatsministerium. Transparenz gab es leider nur sehr begrenzt (Übrigens auch für uns Ausschussmitglieder. Über die vereinbarten Maßnahmen erfuhr ich nicht selten erst wenn überhaupt, dann aus den Pressemitteilungen des Ministeriums). Und auch die Beteiligung aller Mitgliedergruppen in den Krisenstäben konnte nicht überall sichergestellt werden. So wurden die Studierenden und auch die wissenschaftlichen und künstlerischen Mitarbeiter*innen an einigen Hochschulen nicht an den Entscheidungsprozessen beteiligt, obwohl die Probleme wirklich alle betreffen.
In der Antwort auf die Kleine Anfrage (Drs.: 7/2083) wird deutlich, dass das Staatsministerium die Hochschulen alleine lässt. Sie sollen sich im Rahmen ihrer Autonomie selbst um alles kümmern. Das ist natürlich nur begrenzt möglich. So ist der Antwort auch zu entnehmen, dass einige Voraussetzung in den privaten Bereich der Studierenden fallen, z.B. ein Internetanschluss, welche für ein digitales Semester eine Grundvoraussetzung ist. Das heißt, wer keine Kohle für Webcams oder teuer Softwares hat, die haben eben Pech. Das trifft diejenigen, die eh schon mit wenigen Mitteln ihr Studium bestreiten müssen, am härtesten. Lösungen hierfür bietet die Staatsregierung bis heute nicht.
Jedoch scheint es als hätten die Hochschulen im Rahmen ihrer Möglichkeiten die Situation ganz gut überstanden. Es wurden Konzepte entwickelt für die Nutzung der Räumlichkeiten, zur Umsetzung digitaler Lehre, Verhaltensregeln usw. (Drs. 7/2083). Auch die Kleine Anfrage (Drs.: 7/2222) zeigt, dass ein großer Teil der Lehrveranstaltungen in diesem Semester stattfinden können — digital. Aber was bedeutet das für die Studierenden und die Lehrenden?
Es gibt auch an den Hochschulen positive Entwicklungen, die hoffentlich auch in die nächste Novellierung des Hochschulfreiheitsgesetzes einfließen werden. So sind beispielsweise Prüfungen im Sommersemester 2020 nicht verpflichtend und auch die Wiederholung im Falle des Bestehens soll ermöglicht werden. Es gibt also eine Freiversuchsregeln. Prüfungsfristen können verschoben werden und auch die Regelstudienzeit lässt sich an einigen Hochschulen verlängern, wofür sich viele studentische Initiativen eingesetzt haben.
In der Lehre arbeiten die sächsischen Hochschulen mit verschiedenen Online-Tools (eine Auflistung findet sich in der Kleinen Anfrage Drs.: 7/2222). Dabei den Überblick zu behalten, ist wahrscheinlich nicht nur für die Studierenden schwer. Die Lehrenden an den sächsischen Hochschulen hatten wohl die größte Verantwortung. Sie mussten sich in kurzer Zeit mit den unterschiedlichen Tools, über die sie ihre Vorlesungen, Seminare etc. anbieten, vertraut machen. Für viele bedeutete das erst einmal Schulungen, wie online Angebote überhaupt funktionieren, welche Möglichkeiten es gibt und und und. Jede Veranstaltung muss neu konzipiert und vorbereitet werden. Ganz zu schweigen von technischen Problemen, die vor allem am Anfang überwunden werden mussten.
Für die Lehrenden war und ist die digitale Lehre ein erheblicher Mehraufwand. Man darf vor allem nicht vergessen, dass auch Dozierende während der Ausgangsbeschränkungen Kinder zu betreuen hatten, oder wissenschaftliche Hilfskräfte trotz der neuen Situation Angehörige pflegen mussten.
Die Zeit der Kontakt- und Ausgangsbeschränkung war für alle eine riesengroße Umstellung. Viele litten und leiden auch psychisch unter der Situation, plötzlich weniger Menschen treffen zu können oder in sehr beengten Wohnverhältnissen, ohne ruhige Arbeitsatmosphäre, ihre Arbeit auf die Reihe zu kriegen. Und die Lehrenden an den Hochschulen haben in dieser Zeit die komplette Umstellung auf ein digitales Semester gewuppt – teils ohne Zugang zu Büros oder Bibliotheken.
Das da Fehler nicht ausbleiben, ist klar. Dass es auch immer noch keine Routine gibt, ist auch ok. Dass es aber seitens der Staatsregierung kaum Gesprächsangebote mit Betroffenen oder Unterstützung bzw. Handlungsempfehlungen gab und gibt, ist mehr als unverständlich.
Die Hochschulen werden sich selbst überlassen. Dabei wäre es mehr als notwendig, dass klare Regelungen getroffen werden, die für alle sächsischen Hochschulen gelten und transparent kommuniziert werden. Das umfasst aus unserer Sicht u.a.:
- Regelstudienzeit verlängern!
- Prüfungsregularien festlegen!
- Chancengleichheit herstellen über Nachteilsausgleich!
- Unterstützung der Lehrenden und Senkung des Lehrdeputats!
Aktuell werden an den Hochschulen alle Entscheidungen im Einzelfall und auf Antrag entschieden. Möchte eine Person die Regelstudienzeit verlängern, muss ein Antrag gestellt werden, dieser muss geprüft werden, dann gibt es eine Entscheidung (Drs.: 7/2224). Ebenso verhält es sich bei der Verschiebung von Prüfungsleistungen, wie die Kleine Anfrage Drs. 7/2223 zeigt.
Das Ablegen von Prüfungen wird für alle eine Herausforderung. Kritisch sehen wir vor allem die Verlegung in den digitalen Raum, ohne dass die Gewährleistung des Datenschutzes ein Rolle zu spielen scheint (Kleine Anfrage Drs.: 7/2223). Jedoch ist es zwingend notwendig, dass die Staatsregierung als auch die Hochschulen über Rechte und Pflichten bei der Abnahme und Teilnahme an Prüfungen aufklären. Studierende müssen wissen, ob eine Prüfung über Skype, oder Zoom rechtlich zulässig ist. Auch die Hochschulen müssen sich absichern und ggf. andere Tools bereitstellen, um Prüfungsleistungen abzunehmen.
Und wie geht‘s den Studierenden und Mitarbeiter*innen?
Wie die Kleine Anfrage (Drs.: 7/2225) zeigt, interessiert es anscheinend kaum, ob sich Studierende überhaupt an den Online-Formaten beteiligen. Schwer zu sagen, ob überhaupt alle erreicht werden. Viele Studierende haben Probleme mit dem W‑LAN, keine geeigneten Endgeräte, denn oftmals ist Laptop und Kamera Grundvoraussetzung, um überhaupt am Seminar teilnehmen zu können. Außerdem wohnen viele Studierende in WG‘s, wenn alle Bewohner*innen gleichzeitig Vorlesungen online verfolgen, dann kann es zu Schwierigkeiten kommen. Abgesehen davon gibt es viele Studierende mit Kind, sie mussten während der ersten Wochen zu Hause ihr Studium absolvieren und nebenbei noch die Kinderbetreuung übernehmen. Für ausländische Studierende gibt es neben der noch mieseren finanziellen Situation auch sprachliche Barrieren.
Und so sind wir wieder bei den fehlenden finanziellen Hilfen für die Studierenden. Der Freistaat Sachsen wäre hier gefordert schnellstmöglich die Probleme anzugehen. Wir haben in der Linksfraktion im Sächsischen Landtag u. a. einen Sozialfond für die Studierenden gefordert, Unterstützung für die Studierendenwerke und Erleichterungen für die Lehrenden (Drs.: 7/2149), aber das wurde im zuständigen Ausschuss abgelehnt. Alternativ stockt die Staatsregierung die bestehenden Fonds der Studierendenwerke für Sozialdarlehen/ Härtefälle mit 450.000 Euro auf. Diese stehen als Überbrückung zur Verfügung solange bis die Bundesmittel endlich fließen (Drs.: 7/2221) und nur im Rahmen von Einzelfallentscheidungen – klar, denn für alle würde es eh kaum reichen. Für die Hochschulmitarbeiter*innen ist keine finanzielle Unterstützung geplant. Danke für gar nichts!
Wohlgemerkt sind die Studierenden von heute die Wissenschaftler*innen von morgen, also die, die bei der nächsten Pandemie, bei der nächsten Katastrophe dann den Impfstoff entwickeln, oder einen Ausweg finden sollen und jetzt bekommen sie nicht mal ihre Miete zusammen? Wertschätzung sieht anders aus!
Wie in vielen Lebensbereichen auch, hat sich die Pandemie, wie ein Brennglas auf die bereits vorhandenen Probleme gelegt. Mehr als deutlich wird jetzt, dass es für die Studierenden ein elternunabhängiges rückzahlungsfreies BAföG als Vollzuschuss braucht, die Studiengebühren (z.B. Langzeitstudiengebühren) müssen abgeschafft werden, denn sie sind ungerecht und belasten Studierende zusätzlich nicht nur in Ausnahmesituationen. Wissenschaftliches und künstlerisches Personal braucht endlich verlässliche Karriereperspektiven und unbefristete Arbeitsverhältnisse als Regel. Alle Mitgliedergruppen müssen gleichermaßen in die Entscheidungen der Hochschulen sowie des Ministeriums einbezogen werden. Studierende, wissenschaftliche und künstlerische Mitarbeiter*innen, Lehrende und das verwaltungstechnische Personal müssen beteiligt werden, denn alle getroffenen Entscheidungen wirken sich auch auf alle Mitglieder an den Hochschulen aus.
Wir hoffen, dass die durch die Pandemie noch deutlicher hervorgetretenen Probleme nun endlich angegangen werden. Der kommende Haushaltsplan muss deutlich aufgestockt werden, um den Hochschulen, den Studierenden, den Mitarbeiter*innen, den Lehrenden, den Bibliotheken und den Studierendenwerke durch die Krise zu helfen und auch das Sächsische Hochschulfreiheitsgesetzes sollte in der angekündigten Novellierung krisenfest umgestaltet werden.
Weitere Infos findet ihr unter:
- Informationen für Studierenden DIE LINKE. Sachsen
- aktuelle Infos der Konferenz Sächsischer Studierendenschaften
- Nicole Gohlke Fraktion DIE LINKE im Bundestag
Antrag der Fraktion DIE LINKE. im Sächsischen Landtag:
- Drs.: 7/2149 Hochschulen, Studierende und Beschäftigte wirksam vor Auswirkungen und (Langzeit)Folgen der Coronavirus-Pandemie schützen
Kleine Anfragen:
- Drs. 7/2083 Umgang mit der Coronavirus-Pandemie an den Sächsischen Hochschulen
- Drs.: 7/2221 Finanzielle Unterstützung für die sächsischen Hochschulen zur Bewältigung der Auswirkungen der COVID-19-Pandemie
- Drs.: 7/2222 Lehre an den sächsischen Hochschulen während der COVID-19-Pandemie
- Drs.: 7/2223 Prüfungen an den sächsischen Hochschulen während der COVID-19- Pandemie
- Drs.: 7/2224 Studienorganisation während der COVID-19-Pandemie
- Drs.: 7/2225 Studium an den sächsischen Hochschulen während der COVID-19- Pandemie